Unser erstes Jahresthema lautet "Re-interpreting Freedom". In loser Folge sprechen wir mit Mitgliedern unseres Beirats, künftigen Fellows und Freund:innen des Collegiums über ihren Freiheitsbegriff. Als Dritte in der Reihe äussert sich Professorin Antoinette Weibel, Beiratsmitglied.
Wann fühlen Sie sich frei?
Zu selten – und das, obwohl ich eine Profession gewählt habe, die die „Freiheit von Forschung und Lehre“ hochhält. Doch auch in unserem Bereich hat die Bürokratie in den letzten Jahren stark zugenommen – einerseits durch selbstauferlegte Ranking- und Evaluationsübungen, andererseits durch das wachsende Misstrauen des Staates gegenüber den Universitäten. Dadurch bleibt für die freiheitsbestimmten Aspekte meines Berufs leider oft viel zu wenig Zeit.
Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das Ihnen die Bedeutung von Freiheit bewusst machte?
Leider gibt es im Moment viel zu viele Schlüsselerlebnisse. Ich mache mir Sorgen über die Schwäche der Demokratien und das Wiedererstarken autoritärer, teils willkürlicher Entscheidungssysteme. Ein Blick in unsere Nachbarländer oder auf die USA, die einst als Vorreiterin der Freiheitsrechte galt (ohne sie dürften wir Frauen in der Schweiz vielleicht noch immer nicht abstimmen), zeigt, wie vieles nun wieder zurückgerollt wird. Als Frau und durchaus auch als aktivistische Intellektuelle fühlt man sich in dieser Entwicklung verunsichert.
Warum müssen wir Freiheit neu denken? Müssen wir überhaupt?
Erstens greift der derzeit in der (CH-)Politik vorherrschende, meist neoliberale oder libertäre Freiheitsbegriff zu kurz, da er primär die Freiheit der Unternehmen (free enterprise) und negative Freiheitsrechte betont. Es lohnt sich daher, verstärkt über einen republikanischen Freiheitsbegriff nachzudenken, der die Freiheit von willkürlicher Herrschaft in den Mittelpunkt stellt und somit auch die positive Rolle des Staates und der Zivilgesellschaft anerkennt – eine Tradition, die in der Schweiz durchaus verankert ist.
Zweitens – und hier werden wir gerade brutal von den aktuellen Entwicklungen eingeholt – muss Freiheit immer mit Verantwortung einhergehen. Sie steht zudem in einem Spannungsfeld zu Sicherheit, Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Dieses Spannungsfeld muss offen thematisiert werden und darf nicht einem eng verstandenen Liberalismus (sei es libertär oder linksliberal) zum Opfer fallen. Vielleicht braucht es auch ein Nachdenken über postliberale Ansätze oder eine „wehrhaftere“ Ausgestaltung des Liberalismus.
Für Wissenschaftler:innen: Was sind die blinden Flecken Ihrer Disziplin, wenn es um Freiheit geht?
Die Managementlehre ist leider stark von ihren philosophischen Wurzeln entfremdet. Kaum jemand hinterfragt unsere „hidden assumptions“, die mit der Ökonomisierung aber auch Quantifizierung des Faches meist einem recht uneingeschränkten „Managerialismus“ gewichen sind. Will heissen, dass wir meist Forschung machen, welche Praktiken/Instrumente etc. zum ROI des Unternehmens beitragen. Im Personalmanagement werden Menschen damit zu Ressourcen, deren Wohlbefinden nur dann berücksichtigt wird, wenn das zur Produktivität beiträgt.
Frühere Fragebogen finden Sie hier mit den Antworten von Günter Müller-Stewens und Roger de Weck.